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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 20.06.2003


Alice im Männerland - Avantgarde, Mainstream oder Relikt?
Ilka Fleischer

Die einen nennen sie "Vorreiterin", die anderen halten ihre Ansichten für "überholt". Inwieweit steht Alice Schwarzer für einen "zeitgemäßen Feminismus"? Und was verbirgt sich dahinter?





Mit der Veröffentlichung von "Alice im Männerland" Ende letzten Jahres wurde die jüngste Debatte um einen "zeitgemäßen Feminismus" entfacht. Eine Debatte, die mit der Verbreitung von Gender-Mainstreaming-Initiativen zunehmend in alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens Einzug hält und vielfach durch das Gleichnis "Alice Schwarzer = (Alt-)Feminismus" erschwert wird.

Die Grenzen zwischen Selbst- und Fremdinszenierung im Leben der streitbaren EMMA-Herausgeberin sind fließend. Zumindest was die Stilisierung zur Intellektuellen mit Bodenhaftung anbelangt, scheinen ihre Bestrebungen mit denen der Medien-Öffentlichkeit Hand in Hand zu gehen: geistreich und doch nicht abgehoben, provokant, aber doch gesellschaftsfähig - eine gute Mischung für Image und Talkshow.
Ein markanter Unterschied zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung bleibt jedoch: Während ihr "von außen" vielfach unterstellt wird, ihre feministischen Positionen wären "nicht auf der Höhe der Zeit" - so z.B. Doris Schröder-Köpf im stern-Interview 1999 - betont Frau Schwarzer selbst die avantgardistischen Akzente ihrer politischen Vita:

"Beim Blick zurück [..] haben mich zwei Aspekte selber überrascht: Erstens, wie früh ich manche Themen behandelt habe, die oft noch Jahre oder Jahrzehnte tabu blieben. Zweitens, wie oft ich mit diesen Themen in der direkten Kontroverse mit anderen Feministinnen gestanden habe und stehe. Da ist es nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet ich zum Symbol für "die" deutsche Frauenbewegung stilisiert wurde..." (Vorwort in "Alice im Männerland", S.24)

Tatsächlich wird zwar ihr Vorreiterinnen-Verständnis, nicht aber ihre Sprecherinnen-Rolle für "die" Neue (West-)Deutsche Frauenbewegung (NFB) immer wieder in Zweifel gezogen - obwohl nicht nur Alice Schwarzer diese Zuschreibung des öfteren in Frage gestellt hat. Spätestens seit der Veröffentlichung von "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" 1975 - für manche bereits seit der 1971 von ihr organisierten stern-Kampagne "Wir haben abgetrieben!" - wird die Journalistin zunehmend als "die Stimme der Frauenbewegung" zitiert.
In Konsequenz läuft das "Einmotten" der Schwarzer´schen Positionen nicht selten auf das Einläuten einer post-feministischen Ära hinaus. Es scheint nahe zu liegen, dass die verbreitete Historisierung der "EMMA"-Ansätze und die Generalisierung ihrer Anschauungen zu denen "der" Frauenbewegung keine zufällige Koinzidenz darstellen.

Wer also könnte Interesse an der Diskreditierung "der" Feministinnen haben? Wer profitiert davon, "die" Frauenbewegung "alt aussehen" zu lassen? Eine naheliegende Antwort formulierte Werner Laibusch vom Hessischen Rundfunk anlässlich seiner Gratulation zum 60ten Geburtstag von Alice Schwarzer:

"...ein Wort zur medienwirksamen Häme: ‚...Junge Frauen wollten von einer Befreiung à la Schwarzer schon lange nichts mehr wissen. Stimmt nicht! Wie Vieles im Mediengeschäft! Ein durchsichtiger Manipulationsversuch alter und alt gebliebener Männer." (HR, "Frauenforum", 3.12.2002)

Nur Männer also? Das könnte stimmen, wenn der bissige Kommentar der Kanzler-Gattin eine Ausnahme wäre. Worin liegt allerdings das Interesse der nicht wenigen anderen Frauen, die sich öffentlich gegen den (EMMA-/Schwarzer-/Alt-)Feminismus abgrenzen?

Bei der Rückschau auf ihre dramatischen Fernseh-Duelle mit Esther Vilar (1975) und Verona Feldbusch (2001) erläutert Alice Schwarzer zwar, "die Männer" seien sich viel zu schade für grobe Attacken gegen Feministinnen und schickten dafür lieber Frauen vor. Wenn man jenen aber nicht ihr Entscheidungsvermögen absprechen will, setzt dieses Vorgehen ein gewisses Einverständnis der beteiligten Geschlechtsgenossinnen voraus.

In den letzten Jahren mehrt sich die Kritik an einem überholten Auftreten "der" Frauenbewegung - nicht selten werden gar brisante Eskalationen zwischen "Jung und Alt" der politisch bewegten Frauen ausgemacht. Zwei Jahre nach dem offenen "Streitbrief an Alice Schwarzer" von rot-grünen Politikerinnen umreißt Waltraut Worthmann-von Rode die Forderungen der jüngeren Frauen in ihrem Essay "Der neue Grabenkrieg - Zwei Generationen von Politikerinnen streiten sich" folgendermaßen:

"Diesmal sollen die Zöpfe des alten Feminismus abgeschnitten werden. Bitte, kein Schaum mehr vor dem Mund! Kein Krieg mehr gegen die Männer. Weg mit unnötigen Schutzzonen für Frauen. Weg mit der planen Unterteilung der Welt in Frauen und Männer! [..] Ach, Alice Schwarzer, die Welt ist nicht mehr so überschaubar, wie sie damals beim Weltkongress in Brüssel noch aussah!" (NDR Info / Das Forum / 20./24.11.2002)

Seit gut 30 Jahren mit oft schlechter Rhetorik wie "Schwanz-ab-Schwarzer" angefeindet, weiß sich der feministische Medienstar oft nicht anders zu helfen, als an die Solidarität der Frauen zu appellieren. Die "Abtrünnigen" oder "Nie-Bekehrten" erinnert sie daran, dass sie heute von den Kämpfen der Schwestern von damals profitieren - was stimmt. Kritikfreudige Frauen im Rampenlicht (wie Kanzlergattin Doris) weist sie auf ihre Funktion als "role model" hin, das nicht zu leichtfertig mit anti-feministischen Vorwürfen umgehen sollte - was auch stimmt. Nur stimmt beides nicht exklusiv.

Warum als Undankbarkeit, Männerbündelei, Verblendung oder Verantwortungslosigkeit deklarieren, was zu einer Belebung "der" Frauenbewegung führen könnte? Warum nicht der Frage nachgehen, welche Positionen, Visionen, Forderungen und Strategien warum als "überholt" wahrgenommen werden? Warum nicht die eigenen Ansätze auf ihre Ausgewogenheit von geschichtlichem Fundament, zeitgemäßer Adaption und zukunftsträchtiger Vision überprüfen? Waltraut Worthmann-von Rode rät in diesem Kontext:

"Schauen wir doch mal genauer hin, was, wie und warum der Nachwuchs sich so verhält. Wir haben es von ihnen gelernt, einen Computer zu bedienen. Vielleicht ist dies ja nicht die einzig mögliche Lektion."

Mit der Schwarzer´schen Zwischenbilanz aus gut 30 Jahren frauenbewegter Geschichte verdeutlicht "Alice im Wunderland" vor allem, dass es DEN Feminismus nie gegeben hat.

In diesem Sinne und für eine Vielfalt zeitgemäßer Feminismen sollte die Aufforderung zum "Genauer-Hinschauen" allen Seiten gelten: Alt und Jung, Männern und Frauen, Alices und Zoras, Putzfrauen und Kanzlergattinnen...




Alice Schwarzer
Alice im Männerland
Eine Zwischenbilanz

Kiepenheuer U. Witsch GmbH, 2002
ISBN 3-462-03143-0
22,00 EURO200933952375" .





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Beitrag vom 20.06.2003

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